Er reichte ihr die Hand und schon war es um ihre Fassung geschehen. Laut schluchzend stand sie in seiner Praxis, ohne ein vernünftiges Wort hervor zu bringen. Der junge Arzt bot ihr sichtlich erschrocken eine Küchenrolle an, die er vom Medikamentenschrank fischte.
Viel zu lange geschwiegen, zwanzig Jahre Drama in regelmäßigen Abständen und nun noch Mobbing inklusive Kündigung mit Ü 50. Das war sogar ihr zuviel, die nach außen immer den Eindruck machte, es könne sie nichts umwerfen.
Krank geschrieben, erst mal Ruhe. Aber plötzlich wird es unmöglich, alleine Auto zu fahren. Unmöglich, alleine im Supermarkt einzukaufen. Lange dunkle Nächte mit Alpträumen, Herzrasen, Atemnot. Angst, ins Bett zu gehen. Keine Luft mehr beim Gedanken an die letzte Arbeitsstelle.
Beim nächsten Termin ersucht sie naiv um einen Termin beim Psychiater. Der Jungarzt lächelt milde. Er weiß, sie wird als Kassenpatientin keinen Termin bekommen. Der nächste war 3 Monate später, da kann allerhand passieren.
Sichtlich angeschlagene Menschen in der schäbigen Praxis, in der Siegmund Freud noch gewirkt haben könnte.
Der ältere Psychiater schaute sie die ganze Zeit über nicht einmal an, gähnte gefühlte hundert Male, kritzelte irgendetwas auf einen Zettel und holte schließlich einen Fragebogen hervor. Sie kreuzte an, querbeet wie es grade kam nach Motto “Finden Sie sich hässlich – ja sehr… ” und dachte, das kann der doch niemals ernst meinen. Sie musste schließlich das Ergebnis noch selbst zusammenrechnen und er stellte eine Depression mittleren Ausmaßes fest, für die er sogleich das entsprechende Medikament zur Hand hatte.
Einige Tage stand das Psychogift nun schon bei ihr auf dem Schreibtisch. Sie musste nun doch mal eine der winzigen Tabletten probieren und wäre in der folgenden Nacht daran beinahe umgekommen. Herzrasen, Schweißausbrüche, Ängste, Schwindel, Kopfschmerzen – das ganze Programm. Es war die erste und gleichzeitig die letzte dieser Pillen, die sie jemals angerührt hat. Die Krankenkasse sieht das so vor, heißt es auf Nachfrage. Also wird hier eine Spontanheilung durch Exitus angestrebt?
Die letzte Hoffnung setzte sie nun in eine Psychotherapie. Die Praxis des ebenso überalterten Psychotherapeuten – der einzige, der Termine frei hatte und warum ist selbsterklärend – , brauchte sich nicht hinter der des Psychiaters zu verstecken. Nun ging es richtig zur Sache. Der Medizinmann dachte vermutlich, sie sei zugedröhnt genug von den Psychopharmaka, dass sie ihm eh nicht mehr folgen könnte und er fing an, ihr Zwangsgedanken, Zwangshandlungen und gestörte sexuelle Wünsche unterstellen zu wollen. Als er sie damit nicht klein kriegte, ging er dazu über, sie wegen ihrer Statur (zugegeben nicht für Schnelligkeit, eher für Bequemlichkeit gebaut) zu beleidigen und als Ursache für ihre “Depression” festzustellen.
Nicht verrückt genug für diese Art der Therapie suchte sie sich eine neue Arbeit und eine Therapeutin, die ihr wirklich helfen wollte – und die das auch konnte, auf allen Ebenen des Seins.
Vielleicht kommt das eine oder andere an dieser Geschichte bekannt vor? Wir sollten uns kennen lernen…